Die Brieftaube - März 2021, der wahre Wert der Lebensmittel

22/11/2022

 …A mmia mi ‘nsignaru sempri: ”Nun ci ‘nsignari la strata ‘a l’orbi!”…

…mir haben sie immer beigebracht: “einem Blinden zeigt man nicht den Weg”…



Dieser Ausdruck hat sich mir eingeprägt.

Eines Tages erklärte ich einem Landwirt die Funktionsweise des Konsortiums, nicht nur wie wir arbeiten, sondern auch warum es uns wichtig ist, davon zu erzählen und unsere “Art des Wirtschaftens” zu verbreiten. Zwischen Verblüffung und Ungläubigkeit antwortete er lachend mit diesen Worten, die ich seit dem wiederhole, wenn ich versuche zu erklären, was die GallineFelici in Sizilien bedeuten.

 Wer von uns hat etwas anderes gelernt? Wem (außer vielleicht ein paar wenigen Glücklichen) wurde nicht eingetrichtert “behalte diese Idee für dich, sonst klaut sie dir jemand” oder “pass bloß auf, sag’s niemandem, denn damit schalten wir die Konkurrenz aus”…

Die Konkurrenz. Als ob es sich um ein abstraktes Konzept handele, leblos, nicht um Personen. Und wenn es sich um Personen handelt, geht es nicht darum, das Wohl aller im Blick zu haben, sondern darum, wie es mir im Vergleich mit den anderen geht.

 An einem Ort, an dem es wenig gibt und wo man dir von Geburt an vom Mezzogiorno arretrato (der Rückständigkeit Süditaliens) erzählt, dem “aber hier in Sizilien funktionieren Genossenschaften nicht, hier spielt man futticumpagnu” (nicht ganz wörtlich “betrüge deinen Partner”), fällt es schwer sich von diesen Vorstellungen zu befreien. Die wenigen, die es schaffen, schaffen es alleine. Und so erinnert man sich in Sizilien mehr an die großen Namen, als an die großen Unternehmungen. Diesem Kontext entspringen LeGallineFelici und diesen Kontext versuchen sie zu unterwandern, aufzulösen, Stück für Stück, ein neues Mitglied nach dem anderen, un orbu appressu all’autru (ein Blinder nach dem anderen)!



sulla strada Gela – Niscemi (auf der Straße zwischen Gela und Niscemi)


Wobei, orbi (Blinde) sind wir nie. Wer sich dem Konsortium nähert, hat den persönlichen Weg des Umdenkens und Umstellens schon hinter sich, im Betrieb, der Produktionsweise und im Umgang mit den Kund:Innen. Aber die meisten haben es alleine getan, ohne zu wissen, dass andere Produzent:Innen genauso denken und handeln und dass diese – wie in unserem Fall als Konsortium – zusammen arbeiten, senza futtiri a nnuddu (wieder nicht ganz wörtlich: ohne jemanden über’s Ohr zu hauen).

Calogero, oder Gero, ein Freund aus Studienzeiten, ist einer davon:

"Den Familienbetrieb hat mein Opa (auch!) Calogero gegründet und zusammen mit seiner Leidenschaft für Landwirtschaft an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Heute bewirtschaften meine Brüder und ich, unterstützt von unserem Vater Santo, die Zitrusplantage. Oder besser: wir kümmern uns um einen Teil dieser Erde, der uns nicht immer gehören wird bzw. der es auch heute schon nicht tut, sondern uns “nur” anvertraut wurde. Diese Vision verzerrt die Idee des Betriebs und besonders deren Leitung. Keine Maximierung der Produktion, sondern auf das Wohl des Agrarökosystems gerichtetes Handeln.

Hat man erstmal ein gewisses ökologisches Gleichgewicht – zumindest in Teilen – entwickelt und umgesetzt, muss dieses auch gegenüber der Kundschaft verbreitet und kommuniziert werden. 

Es war nicht einfach die Menschen zu erreichen und es ist schwer, das alleine zu tun. Man hat nicht die Mittel, manchmal fehlen die Ideen und es braucht Jahre ein Netzwerk aufzubauen, das die eigenen Prinzipien schätzt und teilt. Dann, eines Tages habe ich durch eines ihrer Mitglieder LeGallineFelici kennengelernt, eine Realität, in der ich all das, was wir am aufbauen waren, wiedergefunden habe. Eine große Familie, eine Galaxie, verbunden durch Ideale und Prinzipien, mit dem großartigen Nebeneffekt der Anerkennung, nicht nur im ökonomischen und landwirtschaftlichen Sinne. 

Das hat mich sofort beeindruckt! Es wird immer seltener Situationen zu finden, in denen nicht das Geld im Zentrum steht. Es ist schön Entdeckungen dieser Art zu machen. Mittlerweile habe ich viele Mitglieder:Innen des Konsortiums kennengelernt, das Wissen über deren Umstände vertieft und immer wieder den gleichen Enthusiasmus, den meine Brüder und ich teilen, wiedergefunden.

Ich musste eine Weile darüber nachdenken. Alleine, mit tausend Anstrengungen, oder mit dem Konsortium, das widerspiegelt und schon seit Jahren in die Praxis umsetzt, was auch wir bisher getan haben?

Wir haben uns daher entschlossen beizutreten, angefangen als Lieferanten, als Küken. Und haben uns nicht mehr alleine gefühlt.
Es ist schön zu wissen, dass unsere Früchte bei den Konsument:Innen mit der gleichen Sorgfalt ankommen, die wir es selbst immer im Direktvertrieb versucht haben. Und wer sie isst, weiß was hinter dieser Frucht steckt, wer wir sind und unter welchen Umständen wir arbeiten. 
Wir hätten uns nichts besseres wünschen können. 

Calogero mit seiner Familie

Diese Zusammenarbeit bedeutet für uns nicht nur mit dem maximalen Respekt gegenüber der Umwelt zu leben und zu arbeiten, sondern ermöglicht vielen Produzent:Innen überhaupt erst weiterhin Landwirtschaft zu betreiben und so zu vermeiden, dass sie ihr Land aufgeben müssen.

Ich durfte außerdem an einer Reihe von Aktivitäten in ganz Italien teilnehmen und habe darin die letzte Bestätigung gefunden, dass das Konsortium nicht einfach Produkte verkauft, sondern ein kleiner Teil einer Familie ist, zu der auch bzw. hauptsächlich die Konsument:Innen gehören. 
Ich habe gesehen, wie dieser Zusammenschluss in der Lage ist, Hindernisse und Schwierigkeiten zu überwinden, die alleine unüberwindlich scheinen. Ich habe gesehen, dass er nicht in sich geschlossen ist, sondern sich weiterentwickelt, verzweigt und das eigene Netz ausweitet. 
Netzwerke schaffen. Am Ende ist es ausreichend, der Natur, die uns umgibt, etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken."


Seit diesem Jahr ist Gero neues Mitglied des Konsortiums. Wie gesagt, ich kenne ihn aus Studienzeiten und auch damals schon habe ich ihn als Person und Landwirt sehr geschätzt (in seiner Abschlussarbeit hat er seine Zitrusplantage als Agrarökosystem konzipiert und umgestellt). Als es darum ging neue Produzent:Innen vorzuschlagen, habe ich sofort an ihn gedacht. 

So wie er sind auch andere Höfe beigetreten oder werden ab Januar Teil unserer “Galaxie” sein: Tuccio und Renato Battaglia, Vincenzo und Antonio Livoti, Michele Puglisi, Giuseppina Foti, Giuseppe Marafioti, Daniele Mazzotta, Clelia Iemma und Enza Balsamo, Salvatore und Angelo Scrofani. Ab 2023 kommen Valeria Iovino und Rina Milana und Veronica Cupane dazu. Es würde uns sehr freuen, wenn ihr die Zeit findet mehr über unsere Produzent:Innen zu lesen bzw. sie näher kennenzulernen und zu entdecken wie viel Liebe und Leidenschaft hinter der Arbeit dieser Landwirt:Innen steckt. 

In unseren Köpfen schwirren die üblichen Fragen: Wachsen? Schrumpfen? Neue Knospen austreiben? Stehen bleiben? Keine neuen Mitglieder:Innen bzw. Konsument:Innen mehr aufnehmen?


… wahrscheinlich bleiben sie noch für eine Weile ungelöst, weil wir uns bewusst sind, dass “unbegrenztes Wachstum nicht nachhaltig ist”. Aber könnte es nicht sein, ich sage bewusst könnte, dass die Idee des Wachstums, wie wir sie kennen, nicht funktioniert, es aber weniger ein Problem der Größenordnung als des Inhalts ist?


Eine herzliche Umarmung an alle

Mico und LeGallineFelici

Leider fehlt in der vorherigen Liste Pietro Cunsolo, ein guter Freund, der die Entstehung der GallineFelici schon unterstützt hat, bevor sie diesen Namen hatten und aus verschiedenen Gründen bisher noch kein Mitglied geworden ist. Er ist diesen Herbst überraschend von uns gegangen, kurz nachdem sein Aufnahmeantrag – natürlich – angenommen wurde. Ciao Pietro, wir danken dir von ganzem Herzen.



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 Wie wird man ein Küken?

Um eine Küken zu werden, muss man sich erst einmal kennen lernen, um herauszufinden, ob wir nicht nur gesund und biologisch, sondern auch ethisch arbeiten, alle an der Produktion Beteiligten respektieren und an dieselben Werte glauben.

Aber zuerst? Wie wird man eine Küken? Was wünschen wir uns von den Erzeuger:Innen von LeGallineFelici? Hier findet Ihr einige nützliche Informationen darüber, wie wir unsere Erzeuger:Innen auswählen.

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Welch ein Geschmack!
Mandel ist nicht gleich Mandel...



Diesen Monat nimmt uns die Sozialgenossenschaft L'Arcolaio mit in den Osten Siziliens, um den Tanz der Mandel und die Protagonist:Innen einer einzigartigen Lieferkette zu entdecken: die sizilianische Mandel-Solidaritätskette.


 

Hier geht's zum Video (mit deutschen Untertiteln)